Dienstag, 4. Januar 2005

Das fabelhafte Leben der Amelie aus Hütteldorf

Maltschy ist ein sehr wienerischer Name, diese Umformulierung von "Amalie" hat mich immer an "Topfengolatsche" erinnert. Komisch, Gedanken zu einer Frau zu formulieren von der man nicht einmal weiss, ob und was sie gelesen hat. Oder welcher politischen Gesinnung sie war. Trotzdem war sie ein gehöriger Teil meines Selbstverständnisses vom Leben. Sie war einfach immer da, als Schwester meiner Grossmutter (legendary Ella-Omi), und sie war meine Taufpatin. Ich war immer froh, dass ich ihren Namen nicht als zweiten Namen in die Geburtsurkunde eingetragen bekommen habe, Heidrun Amalie wäre dann doch zuviel gewesen für ein Kind einer Generation, in der man gerne Nina geheissen hätte.

Ihre grössten Tugenden war die absolute Lebensfähigkeit im Sinne des Annehmenkönnens der Ereignisse, und dem Talent, sie zu verinnerlichen, die guten wie die schlechten - und ihre unbedingte Treue zu sich selbst. Die hatte sie von ihrer Mutter, die damals, also noch vor der Jahrhundertwende, bewusst beschlossen hatte nicht zu heiraten - und daher 5 Kinder von zwei Vätern alleine grosszuziehen. Bitterarm war die Familie, sogar die Schuhe mussten geteilt werden.

Tante Maltschy wurde Grossfamilienmatriarchin, Mutter dreier Töchter, Spitzenköchin und grosszügige Gastgeberin. Sie war nie eine „desinteressierte“ Erwachsene, was uns Kinder ihre Nähe suchen lies. Sie war zornig und laut und emotional, und eifersüchtig – und so warm, dass mir manchmal fast die Tränen gekommen sind, wenn sie mich gefragt hat, wie’s mir geht. Auch wenn alles in Ordnung war. Und wenige Menschen haben wohl so viel gelacht wie sie.

Ihr Humor war grossartig, und selbst in den pietätlosesten Situationen oft die einzige Rettung. So stand sie damals vor dem Grab ihrer Schwester, eben dieser Ella – Omi, und vertrieb sich den aufkeimenden Gedanken, dass sie die Nächste sein könnte mit den Worten: „Na servas, Ella, 30 Jahr’ warst Witwe. Der Guido wird se wundern und sogn: Jetzt kummst daher?“ Danach wurde Schnitzel gegessen. Und gelacht, über Vergangenes, Schönes.

Sie war jene Person, die mir zum ersten Mal bewusst die Augen geöffnet hat, dass das Leben niemals schwarz oder weiss sein kann, auch wenns bequemer wäre, es so zu bewerten. Angeblich wurde herzlich und viel gelacht, damals, als man in Wien auf den Trümmern der eigenen Häusern stand. Weil es schön war, das eine oder andere Brauchbare zur Gründung eines neuen Lebens zu finden.

Sie konnte jahrelang und zutiefst reuen, als sie sich zu spät einer verlorenen Liebe bewusst geworden war. Sie war Dame, wenn sie Spass daran hatte, und „Vorstadtrotzmensch“ wenn ihr danach war. Niemals um jemanden zu gefallen oder weil sich das so gehört. Sie war schamhaft, solange sie Ehre und Sinn darin sah, und sie war cool, wenn es Zeit dafür war (daher meinte sie, die Pfleger sollen locker machen, die genässten Matratzen würden schon trocknen). Sie rauchte nach 4 Schlaganfällen, weil sie sich als Genussmensch sah. Sie rauchte nicht mehr, weil sie ihre Töchter nicht um sie sorgen fühlen wollte. Immer von Lebenslust und Liebe gesteuert.

Und sie hat sich noch einmal verliebt, im Altenheim, in einen 91jährigen. Und es war eine gute Liebe.

Mit viel Stolz würde ich jetzt doch gerne ihren Namen tragen. Respekt vor einem prallen Leben.

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