Zeitreise
In Bulgarien ist es irgendwie 1978. Wir haben 4.500 km abgespult in einem Daewoo Nexia auf der Suche nach einem Plätzchen zum bleiben ohne post-kommunistische Augenbeleidigungen oder Ölfilm am Wasser.
Von der Geschichte plattgemacht ist dieses Land vom "Gottes Vorgarten zum Paradies" im Moment am status quo "Anus Europas". Miese Bauten, abwesende Kulturgüter, bedenkliche Vorstellungen, wo's hingehen soll (EU, weiters raffen-raffen-raffen). Bulgaren sind bettelarm und ohne geringste Ahnung, auf was man in dem Land stolz sein könnte. Sie gehen lieblos mit sich um und auch mit ihrem Land. Chauvinismus und Nationalstolz - in den meisten Ländern ein unerträgliches Ekzem - wird dort nicht einmal als Hobby erwogen. Kulinarisch überlebten wir die Reise mit einer Flasche Whiskey zum abtöten, sogar der in 3 Reiseführern gelobte "Fisch vom Fischer in dem besonders netten Fischerdorf" hatte eine Öllederhose an - und ging meinerseits wieder retour.
Wir haben ein Mädel kennengelernt, die gerade aus England zurückkam, wo sie 3 Jahre in einem miesen Parkhaus abgessen hat, um sich Kohle für ein Studium zusammenzusparen. Sie möchte Ökologie studieren, was ich sofort als Studium Nummer 1 A erste Sahne vermutete im Anbetracht der Müll- und Abgasansammlungen, die sich wie Akne und Mundgeruch durch das ganze Land ziehen. Sie aber meinte, sie mache sich keine Illusionen, ob idealistische Menschen wie sie Jobmöglichkeiten haben werden. Noch ist dort niemand ausreichend versorgt, arbeitsmässig, bildungsmässig, nahrungstechnisch, medizinisch. Wahrscheinlich ein Zierstudium ähnlich wie bei uns Kunstgeschichte.
Aber es gibt auch Gutes zu berichten:
Die Bulgaren sind die nettesten Menschen der Welt. Wirklich.
Bulgarien hat wunderschöne Landschaften (auch wenn man sich auf der Landkarte nochmal vergewissern muss, dass man im berühmten Rosental ist, mangels vordergründiger Anwesenheit von Rosen).
Der hippste Soundtrack ist der von Flashdance. Obwohl, das war eigentlich auch nicht so gut.
In Bulgarien nennt man Pommes parscheni kartofi und isst sie mit geriebenem Schafskäse. Das heißt dann: parscheni kartofi ses sirene (wobei sirene nicht wie Sirene gesprochen wird, sondern mit Betonung auf dem i). Büffeljoghurt ist sehr lecker.
Ich las dort "Engelszungen" von Dimitre Dinev, einem Bulgaren der nach Österreich geflüchtet ist und ein spannendes, ergreifendes, schönes (auch lustiges) Buch auf deutsch (!)verfasst hat. In dem betreffenden Land seiend darüber zu lesen kommt dann besonders gut. Zurück über der Grenze dachte ich mir dann schon so 4-500 Mal sanft über mein Leben reflektierend: "Sau kapt, Sau kapt, Sau kapt".
Der Rest war dann Flucht nach Kroatien und Südsteiermark - und Versöhnung mit der Entscheidung über d. Reiseziel.
INFOS BULGARIEN
BULGARISCHE BOTSCHAFT
heidilist - 30. Jun, 15:55